Tagliamento
In Europa der letzte seiner Art
Ungehindert von menschlichen Verbauungen fließe er aus den Alpen heraus bis ins offene Meer, heißt es. Mit zügiger Strömung ergieße sich smaragdgrünes Wasser hindurch, durch eine sich allmählich öffnende Gebirgslandschaft. Oft mehrere Kilometer breit sei sein Flussbett in dem sich meist mehrere Stromzungen ihren Lauf immer wieder neu suchten. Frei von technischen Schwierigkeiten, nur anfangs mit erquickenden Wellen und gegen Ende von manch Baumfalle in Außenkurven geziert. Große Kiesbänke und Inseln würden einladen zum Pausieren und Nächtigen, weit ab von Straßen und Ortschaften. Man sagt, er sei der letzte dieser Art in ganz Europa der Paddler zu mehrtägigen Gepäckfahrten durch die ursprüngliche, naturbelassene ‚Wildnis‘ einlädt.
Was klingt wie ein Traum wollen wir erleben und machen uns zu siebt an Pfingsten auf in den Norden Italiens. Dreieinhalb Tage sind wir auf dem Tagliamento unterwegs, von Venzone nach Latisana, und finden exakt das vor, was wir uns während der mentalen Vorbereitung zuvor ersonnen hatten: ein Eldorado für unsere Passion, das Tourenpaddeln. Rund 94 Flusskilometer paddeln wir in etwa 20 Bootstunden mit unseren anfangs schwer beladenen und von Tag zu Tag leichter werdenden ‚Lastkänen‘. Wir genießen die Ruhe und tagelange Einsamkeit, die abwechslungsreiche Landschaft und idyllische Lagerplätze. Weder eine regenreiche Nacht noch die drei unfahrbaren und aufgrund des vielen Gepäcks mühsam zu umtragenden Wehre können diese einzigartigen Eindrücke schmälern. Ja, es gibt sie doch. Wider allen Beschreibungen gibt es gleich auf den ersten 10 Kilometern drei Eingriffe menschlicher Hand in den sonst naturbelassenen Flusslauf: in Gemona, unter der Straßenbrücke bei Braulins und unter der gleich darauf folgenden Autobahnbrücke. Auch die Wasserfarbe entsprach, zumindest an den ersten Tagen, nicht ganz dem, wie sie oft beschrieben wird. Reichhaltiger Regen in den Bergen sorgte für die Eintrübung. Zum Glück, denn ohne den damit verbundenen guten Wasserstand wäre die eine oder andere kurze Treidelei bei Dinago wohl zum ‚Wander‘paddeln ausgeartet.
Begeistert kommen wir an in Latisana, verladen das Equipment und reisen per Auto weiter, Richtung Venedig, wohl wissend, dass wir wiederkehren werden - in eines der letzten Paradiese für Gepäckfahrten, südlich der Alpen.
Fakten:
Strecke: Venzone bis Latisana, rund 94 Flusskilometer in etwa 20 Paddelstunden an dreieinhalb Tagen
Einbooten: Straßenbrücke Venzone, rechtes Ufer
Ausbooten: Latisana, 200 m vor der Zugbrücke, linkes Ufer
Ratsam: Bereits an der Fellamündung ohne Gepäck einsetzen und erste Tagesetappe nach dem dritten Wehr beenden. Dann Gepäck aufnehmen und den unverbauten Flusslauf genießen.
Übernachtung bei An- und Abreise: Campingplätze in Gemona und Bibione
Unsere Wasserstände: Moggio 86 cm, Viluzza 92 cm
Pegelinformationen: http://www.protezionecivile.fvg.it